ANNETTE KOLB
DIE LAST

Max Rascher Verlag A.-G. in Zürich 1918

1. bis 3. Tausend

Copyright by Max Rascher Verlag A. G., in Zürich 1918

Buchdruckerei zur Alten Universität, Zürich

Epilog zu den Briefen an einen Toten.

Es gibt Leute, welche die Worte: „Ich bin nicht gekommen,den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ mit besondererVorliebe herausgreifen, andere wieder, welche meinen, Christuskönne sich unmöglich so geäussert haben. Ich zweifle keinenAugenblick, dass er so sprach, so wenig ich glaube, dass er dabeian unsere heutigen Stickgase, Flatterminen und Sprengbombendachte. Aber ich weiss eine Schlacht, zu der ich noch als einSchatten jubelnd hinstürmen würde, tagte er endlich, der grosseeuropäische Bruch mit unseren Trollen, unseren Ab- und Unterartenund dem Tross der Seelenlosen, deren Triumph das heutigeChaos besiegelt. Denn eines Tages werden wir es vor uns herjagen,das Heer der böswilligen Toren wie der Unterworfenen,nicht länger gewillt, ihre Übermacht zu ertragen. Von langerHand ist der Rache vorzuarbeiten, von jetzt ab schon und inmittender unerhörten Niederlage noch, welche die Kinder desLichts von den Söhnen der Finsternis erdulden. Ist das, wassich heute ereignet, etwas anderes als das erweiterte Bild desjenigenKrieges, der unablässig auf der Erde wütet, das Glückder Familien untergräbt und die Häuser niederreisst? Haben dieKnechtischen jemals aufgehört, den Besonnenen zu verfolgen?Ist je ein Waffenstillstand zwischen ihnen gewesen? Liessen sieje ab, den Edlen zu bedrängen, auf dass er stürze oder seinWirken wieder vereitelt werde? Kein Gesetz, nichts auf Erdenstörte sie je, das goldene Saitenspiel seines Herzens zu zerschlagen.Wir wissen genug. Wer brennenden Auges in diese Welt hineinsah,dem ist dieser Krieg kein Rätsel, noch die Worte desjenigen,dessen Kommen der Engelsruf verkündete: „Friede den Menschen,die guten Willens sind,“ und der doch gesagt hat: „Ich bin nichtgekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Dieweit verstreuten Menschen sind heute überall die Unterlegenen,die ihre Einigung noch nicht festlegten, um als das auserwählteVolk — furchtbar genug — den Fuss auf den Nacken derSchlechten, der Unentwickelten, der Unterarten zu setzen, nichtmehr willens, mit ihnen, die nichts so sehr scheuen wie ihreNamen, die Herrschaft über diesen Planeten zu teilen. Durch alleNationen, alle ihre Schichten hindurch ist der Genius diesesKrieges, seinem Charakter entsprechend, der Würgengel derBesten gewesen, der besten Söhne überall, und der ungeborenenSöhne dieser Söhne. Fragt einen Arbeitgeber, wo immer Ihrwollt: seine besten Leute sind es, die er beklagt. Rache für sie,für alle Prediger in der Wüste, für alle jene Staatsmänner auch,die — hier und drüben — mit reinen Händen in diesen Krieggerissen wurden, Rache für sie und ihren Gram. Ihre Erhebungund ihr Zusammenschluss ist die grosse Notwendigkeit. Mansage mir nicht, dass es unmöglich sei. Ein Ruf dringt schondurch das Getöse. Wie mit Feuerzungen ist schon die Luft vonden Stimmen der Dichter erfüllt. Inmitten welcher Drangsal,welcher Todesnot, aus ihren Gräben, ihren Gräbern ach! habensie nach der

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